News vom 31. Oktober bis 2.11.

So! Jetzt ist es endlich einmal an der Zeit, zu schildern, was in der letzten Woche so alles passiert ist. Eine ganze Menge nämlich, und ich werde das jetzt ganz langsam und schön der Reihe nach aufschreiben.
Fangen wir ganz von vorne an. Am Freitag vor drei Wochen hätte Chemo sein sollen, aber es wurde nichts gemacht, da ich Eiter in den Armen hatte. Ja, Eiter. Warum auch immer. Jedenfalls wurde die Chemo auf die darauffolgende Woche am Mittwoch verschoben, und damit begann eigentlich so richtig alles.
Der erste Tag der Chemo lief ganz normal ab, Übelkeit, Müdigkeit, jaa. Also eigentlich das Übliche. Am zweiten Tag in der Früh war auch noch alles normal, doch ab Mittag wurde es stetig schlimmer.

Da ich mich selber an absolut nichts erinnern kann, schreibe ich es so auf, wie meine Mama es mir erzählt hat.
Also, ihr fiel eben ab Mittag auf, das ich langsam immer merkwürdiger wurde. Ich fing an zu zittern und mit der Decke herumzunesteln, und immer wieder stöhnte ich irgendwie leise, als hätte ich Schmerzen. Den Schwestern wäre nichts aufgefallen, aber meine Mama kennt mich ja und rief eine Schwester, als es am Abend schlimmer wurde. Die sah mich nur kurz an und holte sofort einen Arzt. Das war für die Mama schon ziemlich beunruhigend. Der kam und versuchte, irgendwelche Reaktionen aus mir herauszubekommen, aber ich konnte nicht mehr sprechen und nahm sie auch sonst nicht mehr war. Im Laufe dieser Nacht sind dann immer mehr Ärzte gekommen und mein Zustand wurde schlechter. Ich bewegte mich jetzt kaum noch, schrie aber immer wieder zwischendurch auf. Und dank meiner Mama, die immer beobachtet hat, ob ich wieder anfange zu zittern, konnte sie ungefähr sagen wann ich aufs Klo musste und half mir auf die Schüssel. Angeblich eine Meisterleistung, denn ich hatte mich ja überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Meine Mama erzählte jetzt im Nachhinein auch, das zum Beispiel ein Arzt gekommen war, der mir aus dem Dunkeln heraus die Augen hochzog und mir mit einer Lampe in die Augen leuchtete. Absolut keine Reaktion. Oder eine Schwester, die mich anschrie, ob ich sie hören könnte, doch ich reagierte wieder nicht.

Das ganze ging bis am nächsten Morgen so, und in der Früh wurde es langsam wieder besser. Ab da kann ich mich auch langsam wieder erinnern. Als Erstes konnte ich wieder nicken und nahm manchmal am Rande war, wenn jemand da war. Es kamen wieder Ärzte und fragten mich, ob ich denn wüste, wo ich sei. Ich nickte. Und wo sei ich denn? Ich öffnete meinen Mund und bewegte ihn, doch nichts kam heraus. Ich erinnere mich vage daran. Das erste was ich dann wieder sagte war:“ Was ist denn los?“ Und sah dabei meine Mama an. Ich glaube, sie hatte da vor Freude Tränen in den Augen und meinte, sie erzähle mir alles, wenn es mir besser ginge. Langsam kam ich zu mir. Ich sah noch immer sehr merkwürdig, es verschwamm zwar nicht alles, aber manchmal war es näher und dann wieder weiter weg. Meine Mama meinte, ich hatte sehr große Pupillen und hätte jeden angeschaut wie der Kater bei Shrek (wem dieser Blick bekannt ist).
Jetzt wird es Zeit zu erklären, was ich hatte: Das dritte Chemomedikament, genannt Ifosfamid (oder irgendwie so) vertrug ich nicht, Was komisch ist, denn ich hatte es ja schon einmal. Aber diese Chemo war damals auch schon recht schwer, wobei sie eigentlich leichter sein hätte müssen. Den Ärzten war diese Reaktion zwar bekannt, aber sie ist äußerst selten (na toll, immer ich). Wenigstens gab es dagegen ein bläuliches Mittel, das sie mir im Laufe der Nacht schon verabreicht hätten und danach noch ein paar Mal. Ich glaube ja, deshalb habe ich immer so geschrien in der Nacht, den später bemerkte ich, das immer, wenn dieses Medikament in mich rein rann, ich furchtbare Schmerzen beim Venflon hatte. Wer weiß. Die Ärzte sagten zu diesem Zustand übrigens „Ich war komatös.“ Und einer meinte, im schlimmsten Fall wäre ich für immer in diesem Zustand geblieben. Falls jemand wissen will, wie ich mich denn so gefühlt habe, als ich „komatös“ war, kann ich nur sagen: keine Ahnung. Ich bin in der Früh aufgewacht und hab mich gefühlt, als hätte ich die ganze Nacht tief und fest geschlafen.
An diesem Tag konnte ich auch bald dann wieder sitzen und ich hätte zu Bestrahlung gehen müssen. Eine Schwester und ein Arzt haben gemeint, wenn ich genug trinken könnte und gehen, lassen sie mich heute vielleicht schon heim. Und ich wollte unbedingt heim. Und wenn ich etwas will, dann schaffe ich das auch! So habe ich mich zur Bestrahlung gequält und konnte sogar ein paar Schlucke trinken. Um ihnen zu zeigen das wirklich alles in Ordnung sei, bin ich vor ihnen dann auch noch ein wenig gegangen und wir durften heimfahren.

Das war am Freitag, den 2. November.

Doch bald stellte sich heraus, dass das Heimgehen ein großer Fehler war. (Jaa, die Geschichte ist immer noch  nicht aus!). Die Nacht auf den Samstag überstand ich gut. In der Früh ging es auch noch recht gut, und dann wurde es schon wieder immer schlimmer. Ich übergab mich in regelmäßigen Abständen. Und nicht so wie sonst nach einer Chemo; so ein wenig gelblich und jede Menge Spucke, es war jede Nierenschüssel gefüllt bis an den Rand. Am Anfang überstand ich das ja halbwegs, aber für jeden Schluck, den ich trank, füllte ich drei Nierenschüsseln und das war zu viel. Vor allem hatte mir die ständige Säure schon so die Zunge und den Hals verätzt, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Am Abend gab die Mama auf. Sie rief im St. Anna an und meinte, dass wir jetzt kommen, sonst trockne ich noch aus. Beim Anziehen merkte sie dann, dass mein Zustand (schon wieder) so schlecht war, dass ich unmöglich mit dem Auto nach Wien reinfahren konnte. Also rief sie bei der Brunner Rettung an um mich im Liegen zu transportieren. Von da an ging alles recht schnell. In 5 Minuten waren die Rettungsleute da, und fingen sofort an mir den Blutdruck, den Puls und die Sauerstoffsättigung zu messen. Ich hatte einen Puls von 80 zu 40 und die Mama meint heute, dass man da eigentlich schon bewusstlos ist. Jedenfalls verbanden wir die Rettungsleute dann mit dem St. Anna und die wiederum meinten, dass ich auf keinen Fall ohne Notärztin fahren dürfte, dazu dauert die Fahrt einfach zu lang. Also warteten wir auf die Notärztin, die aus Mödling kam und ca. 10 Minuten brauchte. In der Zwischenzeit trugen mich die Rettungsleute hinunter in den Krankenwagen. Als endlich die Ärztin kam, stach sie mir einen Venflon und hängte mich an die Bewässerung. Dann stieg sie aus dem Auto. In dem Moment musste ich mich wieder übergeben, das Erbrochene hatte die Farbe von einer braunen, eher zähen Flüssigkeit. Die Rettungsleute holten die Notärztin noch einmal ins Auto und zeigten ihr mein Erbrochenes. Sie konnte sich nicht erklären, was das genau war, was da aus mir hochkam. Die Ärztin besah sich die Nierenschüssel, meinte nur „Blut ist es keins“, sah mich an und meinte, wieder den Rettungsleuten zugewandt: „Ich kann leider nichts mehr für Sie tun, fahren sie so schnell sie können.“
Und die Rettungsleute fuhren los. Ich bin Das zum ersten Mal mit Blaulicht und Sirene gefahren! Und es war unglaublich. Für die üblichen 30-45 Minuten Fahrt zum Krankenhaus haben wir nicht einmal eine Viertelstunde gebraucht! Für mich persönlich war die Fahrt sehr anstrengend, übergeben musste ich mich zwar nicht, doch trotzdem ging es rasant zu.
Endlich beim St. Anna angekommen, wurde ich schon erwartet und man brachte mich hinauf auf die Intensivstation, wo ich mich gleich demonstrativ noch mal vor allen übergab. Meine Mama meinte später, meine Augen waren immer nur halb geöffnet und man sah nur das Weiße wie bei einem Hund.

Im Nachhinein möchte ich mich bei der Brunner Rettung bedanken, was zu dem Zeitpunkt leider nicht möglich war. Aber sie haben so schnell reagiert, und haben sich so um mich bemüht, obwohl die Dienstzeit eigentlich schon zu Ende gewesen wäre, dass ich ein ganz großes Lob an sie richten möchte!

Ab der Intensivstation ging es mir endlich wieder besser. Ich wurde bewässert, überwacht und durfte am nächsten Tag sogar wieder zurück auf die normale Station. Dort blieb ich dann bis letzten Mittwoch und genauso lange hatte ich auch meine Stimme, durch den entzündenden Hals, nicht. Jetzt klinge ich schon fast wieder normal, nur hin und wieder kommen noch ein paar heisere Laute.

Jetzt geht es mir endlich, endlich wieder gut! Und eine kleine frohe Botschaft habe ich noch: Nach fünf Cousins wurde endlich mein erste Cousine Sonja geboren!!